Sonntag, 12. Februar 2012
Die 100 besten Filme – 22. Mystic River
Für viele ist das Drama neben „Million Dollar Baby“ der beste Eastwood-Film überhaupt. Vollkommen ohne Spezialeffekte auskommend, schafft der Film eine Atmosphäre, die stark an große Dramen aus der Vergangenheit erinnert. Man wird von Beginn an in einen düsteren Sog hineingezogen, aus dem einen der Film die ganze Zeit nicht mehr entlässt. Farben werden äußerst spartanisch eingesetzt, nur sehr selten kommt es zu schnellen Kamerafahrten und auch die Musik untermalt über den gesamten Film hinweg nur sehr dezent.

Der Erzählrhythmus ist dazu passend ruhig und gleichmäßig, die Geschichte allerdings alles andere als gemütlich: Ein tragisches Ereignis – der Tod von Jimmys 19jährigen Tochter – verbindet die Handlungsstränge von mehr als zehn Akteuren und lässt sie immer wieder in Konfrontation miteinander geraten. Eastwood gelingt es dabei durch die Bank, die nicht unkomplizierte Romanvorlage verständlich aufzubereiten, so dass der Zuschauer eigentlich keine Mühe hat, der Handlung zu folgen.

So kann man sich, sofern man die ansteckende Melancholie akzeptiert hat, zurücklehnen und die Leistungen der Darsteller genießen. Ohne Umschweife lässt sich behaupten, dass in keinem anderen Film jemals so viel schauspielerisches Können gezeigt wurde. Allen voran spielt natürlich Sean Penn, der hier die beste Schauspielerleistung aller Zeiten abliefert. Mit Worten ist kaum zu beschreiben, wie großartig er hier arbeitet, alle Szenen sind extraklasse. Spontan fällt mir jene ein, in der er in den Park eindringt, in dem eine Tote gefunden worden ist, und den anwesenden Polizisten Sean immer wieder fragt, ob es sich um die Leiche seiner Tochter handle. Oder jene, in welcher er mit Dave auf der Terrasse sitzt („I can’t even cry for her!“). Oder man denke an die Szene, in der er und Sean auf der Straße stehen und er von diesem gefragt wird, wann er Dave zum letzten Mal gesehen habe.

Neben Sean Penn spielt auch Tim Robbins in „Mystic River“ die Rolle seines Lebens. Beängstigend und bedauernswert zugleich stellt er das Opfer eines kindlichen Missbrauchs dar, welches diesen Missbrauch nie verarbeiten konnte und ihn mit jeder Faser seines Körpers, mit jedem gesprochenen Wort, mit jeder Geste, mit seiner ganzen Haltung leben muss. Sternstunden sind wiederum die Terassenszene mit Jimmy oder auch jene, in der er seinem Sohn eine Gute-Nacht-Geschichte erzählt. Hier finden wir wunderbare Einstellungen vor, Tim Robbins Kopf, dezent ausgeleuchtet, erscheint uns vor pechschwarzer Wand, mit ein wenig Nebel, was sein Spiel geradezu mystisch macht.

Ebenso beeindruckend erlebt der Zuschauer Daves Frau, gespielt von Marcia Gay Harden. Passend zum Zusammenleben mit einem Missbrauchsopfer erscheint sie uns unglaublich gutherzig, mitfühlend, aber auch schwach und hilflos. Ganz im Gegensatz dazu Jimmys Frau, gespielt von Laura Linney: Sie ist stark und selbstbewusst, eben eine „Königin“, die bereit ist, ihre Familie über alles zu stellen. Die Szene am Ende des Films, in der sie ihrem Ehemann erklärt, wie stark dieser ist und ihm deutlich macht, dass sie diese Stärke auch kompromisslos einfordert, zeigt uns, dass eigentlich sie die mit Abstand stärkste Person in der Geschichte ist.

Erwähnt werden muss auch die Leistung von Kevin Bacon, ein ewiger Nebendarsteller, der oft im Glanz der Könner um ihn herum unterzugehen droht. So ist das auch in „Mystic River“, was aber nicht heißt, dass nicht auch er hier das beste Spiel seiner Karriere zeigt. Die Szene, in der er Jimmy und seine Frau kurz nach der Identifizierung von deren Kind vernimmt, ist auch für ihn glanzvoll, ebenso jene Szene mit Jimmy auf der Straße am Ende des Films, wo er erklärt, dass eigentlich alle drei Freunde (Dave, Jimmy und Sean) Opfer des Missbrauchs von Dave gewesen sind. Nebenbei gibt es übrigens auch noch einen Kurzauftritt von Eli Wallach, der wie immer grenzenlos sympathisch ist und großartig spielt.

Zusammengefasst: Wie „Million Dollar Baby“ ist auch dieser Eastwood-Film unbequem für den Zuschauer. Dem düsteren Sog der Melancholie kann man sich nur schwer entziehen und bleibt hinterher bewegt zurück. Dabei sehen wir allerdings die größte Theatervorstellung aller Zeiten, nirgendwo sonst ist so viel schauspielerische Klasse zu sehen. Die meisten Szenen wurden mit nur einem oder zwei Takes aufgenommen, oft wurden sogar die Aufnahmen aus den Proben für die Endfassung des Films verwendet. Alle wichtigen Darsteller agieren auf dem Höhepunkt ihres Könnens und füllen die großartige Geschichte mit einer Lebendigkeit, die unter die Haut geht und dort bleibt.

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