Samstag, 11. Februar 2012
Die 100 besten Filme – 21. Der weiße Hai
Zu seiner Zeit der finanziell erfolgreichste Film aller Zeiten, erzielte „Der weiße Hai“ eine psychologische Wirkung, die wir nur von wenigen anderen Filme kennen (z. B. „Die Vögel“): Spielberg bedient hier unsere Urangst vor dem Wasser, einem Medium, welches sich unseren Wahrnehmungsmöglichkeiten hartnäckig versperrt und deshalb wie geschaffen ist für die Kreation von Mysterien (Deshalb spielen die Horrorszenen vieler Filme ja auch im Dunkeln!). Viele von uns ängstigen sich zumindest ein kleines bisschen vor dem Meer und je weiter wir uns schwimmenderweise vom Ufer entfernen, umso mulmiger wird uns in der Regel. Immerhin tauchen wir den überwiegenden Teil unseres Körpers in eben jene Sphären hinein, innerhalb derer unsere Fernwahrnehmung kaum noch funktioniert und lassen eben jenen Körperteil, der dafür geeignet wäre, über dem Wasser. Wie auch immer man das Phänomen erklären möchte, Fakt ist: Die meisten von uns würden eine Scheißangst bekommen, wenn uns beim Schwimmen im Meer plötzlich etwas am Fuß berührt und, mal ganz ehrlich, wir würden dabei nicht zuletzt an den Hauptdarsteller in Spielbergs Meisterwerk denken.

Doch zählt der Film nicht nur zu den erfolgreichsten und einflussreichsten aller Zeiten, er zählt auch zu den genialsten. Die dramaturgische Weise, mit der hier Spannung erzeugt wird, hat Geschichte geschrieben. Die eigentümliche Mischung aus einer simplen Musik (nur zwei Töne!), die mit ansteigender Lautstärke spielt und der geschickten Anordnung von Bildern findet sich in beinahe sämtlichen Horrorfilmen der letzten drei Jahrzehnte wieder und auch in vielen anderen Werken, die unaushaltbare Spannung aufbauen wollen. Der eigentliche Geniestreich dabei entwickelte sich im "Weißen Hai" aus der Not heraus, dass die elektronisch gesteuerte Haiattrappe wochenlang nicht recht funktionieren wollte. Somit war Spielberg zu dramaturgischen Änderungen gezwungen, die heute legendär sind: Er enthält uns den Hai fast eine Stunde lang vor und zeigt ihn im gesamten Film höchstens drei Minuten lang. Wie Hannibal Lecter im „Schweigen der Lämmer“ (der auch nur eine gute Viertelstunde Leinwandpräsenz hat) beherrscht der Bösewicht dabei dennoch den gesamten Film, übertönt jede Szene, selbst wenn sich dies lediglich als unangenehme Befürchtung im Bauch des Zuschauers zeigt, der dem gemütlichen Familienpicknick am Strand misstraut und auf das Schlimmste gefasst ist.

Legendär ist mittlerweile auch Roy Scheiders Satz: „Wir werden ein größeres Boot brauchen!“, nachdem der Hai (überraschend weil ohne Ankündigungsmusik!) hinter dem Heck des Bootes aus dem Wasser getaucht war. Super auch die Darstellungen von Richard Dreyfuss und vor allem Robert Shaw, der viel Eastwood-Western-Coolness rüberbringt, z. B. in der Szene, in welcher sich die Rolle seiner Angel zu drehen beginnt. Roy Scheider hat einige glanzvolle Auftritte. So liebe ich die Szene, in der sein Sohn ihn am Esstisch nachmacht und beide schließlich im Grimassenschneiden wetteifern, worauf ein großartiger Dialog folgt: „Gib mir einen Kuss!“ „Warum?“ „Weil ich es brauche.“

Ohne Zweifel hat der Film Schwächen. Textzeilen und Schauspielerleistungen sind nicht immer erste Sahne. Aber wie schon bei den „Der Herr der Ringe“-Verfilmungen kommt es auch beim „Weißen Hai“ nicht darauf an. Der Film hat in anderer Hinsicht Maßstäbe gesetzt und das macht ihn nicht nur zu einem der spannendsten und wichtigsten sondern auch zu einem der besten Filme aller Zeiten. Daran können glücklicherweise auch die zum Teil entsetzlichen Fortsetzungen nichts mehr ändern.

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